Frau B. kommt jeden Tag zur Abendmesse in die Pfarre – manchmal auch in die Frühmesse. Sie trägt meistens einen Pelzmantel und einen Hut. Frau B. ist auch gern Gast im Pfarrkaffee und bei verschiedenen pfarrlichen Veranstaltungen. Sie freut sich immer über Kuchen und belegte Brote. Die Pfarre ist zu einer Heimat geworden. Als Frau B. zwei Tage hintereinander nicht in die Messe kommt, schaut der Mesner nach ihr. Sie liegt hilflos nach einem Sturz in ihrem Haus. Dem Mesner zeigt sich nun die Realität des Lebens von Frau B.:
Frau B. wohnt in einem großen, alten Innenstadthaus, das schon lange ihrer Familie gehört. Dieses Haus steht unter Denkmalschutz und ist daher schwer zu erhalten und nicht verwertbar. Sie kann einen einzigen Raum heizen. Ihre schmale Pension deckt gerade die nötigsten Kosten. In der Küche findet er kaum Lebensmittel. Die Frau, die immer am Pfarrleben teilnimmt, ist arm. Sie kann sich kaum das Nötigste leisten und sucht nicht nur die sozialen Kontakte in der Pfarre, sondern warme Räume und etwas zu essen. Niemand in der Pfarre wusste bis jetzt über die Lebensumstände von Frau B.
„Das habe ich mir gänzlich anders vorgestellt. Ich war gut ausgebildet, jung verheiratet, berufstätig, wir haben 3 Kinder bekommen und ich war 9 Jahre daheim bei den Kindern, wie es damals üblich war. Alle Freundinnen haben das genauso gemacht. Ehrenamtliches Engagement in der Pfarre und dort und da haben mein Leben bereichert und mit Sinn erfüllt. Lebensjahre ziehen ins Land. Lebenspläne zerbrechen. Der berufliche Wiedereinstieg in Teilzeit ist gut gelungen. Die Ehe ist gescheitert. Jetzt habe ich noch einige Jahre berufliche Laufbahn vor mir. Die Vorausberechnung meiner Pension ist gelinde gesagt schockierend und macht mir Druck und Stress. Gefühle der Wertlosigkeit und Wut begleiten mich. Ich will mich selbst gut versorgen können und das sogenannte gute Leben haben, von dem alle reden. Enttäuscht von schönen Worten in Politik, Kirche und Gesellschaft, kann ich davon nur träumen.“
Als Kind war ich glücklich! Meine Eltern haben mir eine schöne Kindheit, später eine gute Ausbildung an der Handelsakademie ermöglicht. Als ich 20 Jahre alt war, durfte ich für ein Jahr als Au Pair nach Frankreich gehen, um mein Französisch zu perfektionieren und meinen Horizonten zu erweitern. Durch meine Arbeit habe ich den schönsten und lustigsten Mann der Welt kennengelernt und später geheiratet. Als ich 32 Jahre alt war, ist Michel, meine einzige Tochter zur Welt gekommen und ich dachte, mein Glück ist vollkommen. Ich dürfte meinen Job noch paar weitere Jahre im Verkauf weiterausüben, jedes Jahr sind wir ans Meer gefahren und mein Hobby – das Skifahren konnte ich mir auch leisten. Das alles war so lange möglich, bis meine Eltern gleichzeitig krank geworden sind. Sie konnten nicht mehr auf Michel aufpassen, in der Schule und in der Nachmittagsbetreuung hat es leider auch nicht so gut funktioniert. Michel war sehr oft krank, dazu hatte sie Lernschwierigkeiten und somit musste ich mein Job aufgeben um mich um meine Tochter und meine beiden kranken Eltern kümmern zu können. Das hat genau 6 Jahre funktioniert. Als ich 45 Jahre alt war, wurde bei meinem Ehemann eine schwere psychische Krankheit diagnostiziert.
Am Anfang dachte ich mir, ich schaffe es, aber das Eheleben und auch das Familienleben ist aus dem Gleichgewicht geraten und das beisammen sein war immer schwerer und schwerer. Dann ist mein Vater und ein Jahr später meine Mutter verstorben. Mein Mann hat seine Sachen gepackt und ist nach Kanada ausgewandert. Ich bin mit Michel sind ganz alleine zurück geblieben. Ich suchte mir einen Job und hin und wieder konnte ich kurzfristig als Karenzvertretung beschäftigt werden, allerdings an meine alten Erfolge konnte ich nicht mehr anschließen. Das Essen hat mir bei all der Trauer und dem Frust sehr geholfen und mich manchmal auch glücklich gemacht. In einem Jahr hat sich mein Gewicht verdoppelt, dazu wurden bei mir schwere Erkrankungen, wie Diabetes und Herz-Rhythmusstörungen diagnostiziert und ich konnte nicht mehr arbeiten gehen. Das Leben war dann bis zu meinem Pensionseintritt nicht mehr so lustig und glücklich wie am Anfang. Das Erbe von meinen Eltern war rasch verbraucht, Urlaube und das Skifahren waren schon lange kein Thema mehr. Trotzdem waren manche Augenblicke schön! Meine Tochter hat Ihre Ausbildung doch geschafft und arbeitet schon seit 5 Jahren in der Gastronomie. Sie ist mit ihrem neuen Freund zusammengezogen. Mein Leben ist zwar kein Luxus, aber ich kämpfe weiter. Ich bin doch noch nicht so alt, ich bin gerade erst 60 Jahre alt!
Hannelore ist 67 Jahre alt, geschieden, Mutter von drei Kindern und Oma von 4 Enkelkindern. Sie lebt mit ihrer Katze in einer kleinen Genossenschaftswohnung im 10. Bezirk in Wien, in die sie noch in Ihrer arbeitsaktiven Zeit eingezogen ist. Hannelore ist keine Mindestpensionistin. Ihre monatliche Pension von 980,- EUR - das durchschnittliche Pensionseinkommen von Frauen liegt monatlich bei ca. 1000 EUR/brutto, Pensionseinkommen von Männern bei ca. 1635 EUR/brutto -reicht leider nicht für alles, was sie sich in ihrer aktiven Zeit leisten konnte. „Strom- und Gaspreise haben sich verdoppelt, das spüre ich bei jeder Abbuchung. Zum Friseur gehe ich nur einmal im Jahr, neues Gewand habe ich mir zuletzt gekauft, als ich noch als Bürokauffrau in einem kleinen Familienunternehmen gearbeitet habe. Frisches Obst und Gemüse kaufe ich nur, wenn ich meine Enkel bei mir habe. Fleisch esse ich fast nur mehr, wenn ich bei meinen Töchtern zum Mittagessen eingeladen bin, oder wenn es in Aktion ist. Rezeptgebühren sind auch teuer geworden. Über meine Situation rede ich mit meinen Kindern lieber nicht. Sie haben selbst genug Probleme. Meine ältere Tochter ist alleinerziehende Mutter. Meine jüngere Tochter ist zwar glücklich verheiratet, aber sie und ihr Mann zahlen einen ziemlich hohen Kredit für ihre neue Wohnung in der Nähe von Wien. Mein Sohn ist vor 5 Jahren nach Kanada ausgewandert. Mein Ex-Mann ist seit 5 Jahren nicht mehr unter uns und die Witwenpension kassiert seine dritte Ehefrau, mit der er 20 Jahre lang gelebt hat.“ erzählte Frau Hannelore. Frau Hannelore besuchte ein paarmal unsere Einrichtung ´s Häferl, um ein bisschen Geld für ein warmes Mittagessen zu sparen. Sie ist nicht alleine. Im vergangenen Jahr wurde ´s Häferl immer mehr auch von armutsbetroffenen Pensionist*innen besucht. Auch an unser Evangelisches Sozialzentrum Wien wenden sich immer mehr Frauen im Pensionsalter.
Jitka Zimmermann
Nur einfach eine alte Frau zu sein, bedarf schon der Seelenstärke. Das Alter zu akzeptieren und es mit Würde und Einverständnis zu leben.
Gesellt sich da nun Armut hinzu, wird ein sich seinem Ende zuneigendes Frauen-Dasein zur Qual. Wird es menschenunwürdig. Auch ist die Armut einer alten Frau ist stets mit Einsamkeit verknüpft. In so einer Situation hilfreich zu werden, bedürfte vor allem menschlicher Annäherung - also unserer Empathie (leider etwas, das auf Erden weitgehen auszusterben droht.) Dann erst kann die finanzielle und existenzielle Unterstützung von alt.arm.weiblich wirklich wertvoll werden.
„Armut tut weh“ ist ein Satz, den ich oft verwende. Schmerz und Ausgeschlossensein sind noch größer, wenn es sich um ältere Menschen handelt. Dass diese Situation in besonderer Weise auf Frauen zutrifft, ist eine Schande für unsere Gesellschaft und eine Niederlage für den Grundsatz der Gleichberechtigung“.
Kürzlich ist mir dieser Befund der UNO in die Hände gefallen: „Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung dar, verrichten nahezu zwei Drittel der Arbeitsstunden, erhalten ein Zehntel des Welteinkommens und besitzen weniger als ein Hundertstel des Weltvermögens“. Solange wir es nicht schaffen, dieses Ungleichgewicht auf allen Ebenen zu beseitigen, wird es Frauen geben, die in Armut leben! Das ist kein Problem von einzelnen, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe!
Verehrte Gäste, erst einmal möchte ich Danke sagen, dass Sie meinen Worten eine Plattform geben. In Würde altern, der ewige Appell. Wenn Sie einer alten Dame begegnen, die Ihnen sagt, dass Sie sich eine Scheibe Brot für zwei Tage einteilt und Ihre Tütensuppe regelmäßig mit Wasser streckt, damit sie länger etwas davon hat. Wenn es nicht mehr möglich ist, Obst zu kaufen, weil das zu teuer ist, wenn man auf einer 20 Jahre alten Matratze schlafen muss oder der Kühlschrank kaputt geht ... wenn man eine neue Brille, eine Taxifahrt zum Arzt oder einen Friseur Besuch braucht, wenn es unmöglich wird den Zahnarzt zu bezahlen oder mit der Bahn einmal eine Freundin zu besuchen ... was antworten Sie da? Sie antworten gar nicht – sie werden aktiv! Wenn all diese normalen Alltäglichkeiten wegfallen, was für ein Leben ist das dann? Ohne Hilfe von außen sind einem die Hände gebunden und man zieht sich oft beschämt zurück. Die Folge ist Einsamkeit, sie ist das unerbittliche Kind der Armut. In einer Gesellschaft, die sich fast ausschließlich dem Profit und der Jugend verschrieben hat, ist es vielleicht ein kühnes Unterfangen Mitgefühl für diejenigen zu wecken, die altersbedingt im Abseits stehen. Wie es sich anfühlt, wenn die Vergangenheit immer länger und die Zukunft immer kürzer wird, weiß man wohl erst, wenn es so weit ist. Das Bedürfnis als ein untrennbarer Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, auch wenn man nicht mehr aktiv beitragen kann, ist existenziell. Noch nie zuvor hatte der Mensch die Chance auf ein so langes Leben wie heute. Diesem Geschenk sollte man nicht mit Furcht begegnen müssen, sondern mit Respekt und Dankbarkeit. Es gilt das Alter zu schützen, denn es ist ein Quell aus Erfahrungen und ein Fundus des Wissens. Es ist der letzte Abschnitt, in dem sich der Kreis der eigenen Geschichte würdevoll schließen sollte. Ich denke der Blick auf das eigene Alter wird friedvoller mit dem Wissen, dass es Menschen geben wird, die auch in Zukunft nach genau dieser Maxime handeln. Dies ist mein Ansporn für HERZWERK - mit besten hoffnungsvollen Grüßen!
Es ist ureigenste Aufgabe der Kirche(n) auf die die Schwächsten zu schauen.
„Da rief ein Armer und der Herr erhörte ihn“ (Ps 34,7). Immer schon hat die Kirche die Bedeutung eines solchen Schreis begriffen … .
Wir sind also gerufen, den Armen die Hand zu reichen, ihnen zu begegnen, in ihre Augen zu schauen, sie zu umarmen, sie die Wärme der Liebe spüren zu lassen, die den Teufelskreis der Einsamkeit zerbricht. Die Hand, die sie ihrerseits uns entgegenstrecken, ist eine Einladung, aus unserer Sicherheit und Bequemlichkeit auszubrechen...“
(Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Welttag der Armen am 19. Nov. 2017)
Der 19. November 2017 war für die katholische Kirche eine Premiere: Erstmals fand weltweit der "Welttag der Armen" statt, mit dem Papst Franziskus den Fokus stärker auf Menschen am Rand der Gesellschaft rücken und sie in die Mitte nehmen will.
Auch in Österreich gibt es "zu viele Menschen, die nicht wissen, wie sie den Alltag aus eigener Kraft bewältigen sollen". Die Kirche sieht ihren Platz "an der Seite der Armen" und will Menschen an den Rändern der Gesellschaft beistehen, "weil konkrete Nächstenliebe Fundament und Prüfstein des christlichen Glaubens ist", heißt es in der Erklärung der österreichischen Bischöfe, anlässlich des Welttages der Armen. Wichtig ist auch der Kampf gegen die Ursachen von Armut und Ausgrenzung, wozu die Kooperation von Wirtschaft und Sozialstaat gestärkt und weiterentwickelt werden muss.
Die Evangelische Kirche A.B. und die Erzdiözese Wien nehmen sich mit der Gründung der Plattform „Altersarmut bei Frauen - alt.arm.weiblich“ dieser Aufgabe jetzt konkret an.